Es war ein Wettlauf gegen die Zeit mitten im Kalten Krieg, von dem im Westen bis heute nur wenig bekannt ist: Der Film "Salyut 7" erzählt von der waghalsigen Aktion zweier sowjetischer Kosmonauten auf einer Raumstation, die abzustürzen drohte. Wir haben mit dem Ex-Astronauten Ulrich Walter über damalige und heutige Risiken der Raumfahrt gesprochen.
FOCUS Online: Der Film „Salyut 7“ (deutsch: Saljut) beschäftigt sich mit einem Thema, das aktueller kaum sein könnte. Damals drohte die sowjetische Raumkapsel abzustürzen, derzeit harren wir der Dinge, wo die Trümmer der chinesischen Raumstation „Tiangong 1“ auf der Erde niederkommen werden.
Ulrich Walter: Damals wie heute gilt, die Wahrscheinlichkeit von einem Trümmerteil getroffen zu werden, ist verschwindend gering. 71 Prozent der Erde sind von Wasser bedeckt, weite Teile des Landes sind unbewohnt. Jährlich stürzen 20 bis 30 Satelliten ab – 90 Prozent des Weltraumschrotts verglüht, der Rest trifft auf die Erde. 1979 verglühte die „Skylab“ über Australien und Teile der Außenhaut landeten südöstlich von Perth - der Ort Balladonia in der Nähe der Absturzstelle zählt neun Einwohner und liegt 190 Kilometer westlich und 180 Kilometer östlich vom nächsten Ort. So verlassen sind viele Landstriche auf der Erde.
FOCUS Online: Worum ging es bei der „Saljut 7“-Rettungsmission, die der Film erzählt?
Von Weltraumschrott getroffen zu werden, ist sehr unwahrscheinlich
Walter: Die „Saljut 7“ war eine nur zeitweise bemannte Forschungsstation der damaligen Sowjetunion. Man muss sich in die Zeit des Kalten Kriegs zurückversetzen: Auf allen Gebieten herrschte ein Wettlauf zwischen den Supermächten USA und UdSSR. Und nachdem die USA das Rennen um den Mond für sich entschieden hatten, sagten sich die Russen, die erste Raumstation bauen wir! Das taten sie dann 1971 mit ihrem Saljut-Programm, das dem amerikanischen Skylab-Programm zwei Jahre voraus war.
FOCUS Online: Wurde im Orbit Kalter Krieg gespielt?
Walter: Anfangs ging es tatsächlich um militärische Ziele. Anfang der 1970er Jahre fotografierte die Besatzung mit Kameras gegnerisches Gebiet und die unentwickelten Filme wurden zurück auf die Erde gebracht. Diese Aufnahmen waren einfacher und schneller zu machen als die der damals üblichen Aufklärungsflugzeuge.
Am 22. März erscheint der Film "Salyut 7" auf DVD und Blu-ray.
Besatzung fotografierte gegnerisches Gebiet
FOCUS Online: Das klingt nach Handarbeit. Heute ist das gar nicht mehr vorstellbar.
Walter: Das war sehr analog. Erst Ende der 1970er Jahre war die Digitalisierung soweit, dass die Aufnahmen automatisch gemacht wurden und digital direkt zur Erde gesendet werden konnten. Das änderte auch die Nutzung der Raumstationen. Sie wurden mehr und mehr zu Forschungsstationen.
FOCUS Online: Was war das besondere an der „Saljut 7“?
Walter: Beginnend mit Saljut 6 wurden erstmals Langzeitaufenthalte für Besatzungen getestet. Eine Besatzung blieb 237 Tage. Einzigartig bei Saljut 7 war der im Film geschilderte Rettungsflug zur Station, nachdem der Kontakt am 12. Februar 1985 abriss und die zu der Zeit unbemannte Station aus ihrem planmäßigem Orbit driftete. Was genau ablief, kam aber erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs heraus.
FOCUS Online: In dem Film sind die beiden Kosmonauten eine Mischung aus Wissenschaftler und Tüftler. Sie können ein Schweißgerät genauso gut bedienen wie physikalische Experimente ausführen.
Walter: Russen und Amerikaner hatten unterschiedliche Vorstellungen, was ein Raumfahrer können muss. In der UdSSR musste der Kosmonaut auch ein guter Handwerker sein, denn bei einer so jungen Technik konnte immer etwas kaputt gehen Deshalb hatten sie Lötkolben dabei, Schweißgeräte und so weiter. Die Amerikaner sagten sich, wenn etwas kaputt geht, dann wird es eben komplett ausgetauscht. Ich selbst habe diese Erfahrung 1993 an Bord der „Spacelab“ gemacht. Eine Sicherung war durchgebrannt. Ein Russe hätte gesagt, hier ist die Ersatzsicherung, tausche die mal aus. Hier wurde der Sachverhalt dagegen an die Bodenstation gemeldet, wo zwei Tage lang über die mögliche Ursache nachgedacht wurde, bis die Order kam, die Sicherung auszutauschen. Die durfte dann aber auch nur ein amerikanischer Astronaut austauschen.
FOCUS Online: So wären die beiden Kosmonauten auf der „Saljut 7“ nicht weit gekommen.
Walter: Das ist wahr. Sie starteten im Juni 1985 mit der „Sojus-T 13“ und dockten manuell an die Station an. Alleine das war eine riesige Leistung. Wir simulieren diese Art des Andockens derzeit an der TU München. Das ist unglaublich schwierig – und im Film sehr real dargestellt.
"Die Darstellung ist sehr authentisch"
FOCUS Online: Die Besatzung fand die Station in unbeschädigtem, jedoch völlig vereistem Zustand vor.
Walter: Die Darstellungen, wie sich die beiden in der Raumkapsel bewegen, wie sie dort wie gute Mechaniker das Ding wieder in Fahrt bringen, ist sehr authentisch dargestellt. Das war eine riesige Leistung. Astronauten und Kosmonauten tun eben Dinge, die eine Maschine nicht kann. Das kommt in dem Film gut rüber. Ich bin normalerweise sehr zurückhaltend, was Raumfahrt-Darstellungen betrifft. Aber hier ist sie inhaltlich und fachlich sehr überzeugend, ähnlich wie bei dem Film „Apollo 13“ - wenn auch ohne den Hollywood-Anstrich.
FOCUS Online: 1991 war auch die Zeit der „Saljut 7“ vorbei und sie verglühte in der Atmosphäre. Derzeit kreisen noch jede Menge Satelliten im Orbit.
Walter: Dort oben bewegen sich etwa 4700 Satelliten und zwei Drittel davon sind tot, funktionsuntüchtig, ohne Steuerung. Das ist in etwa so, als würde man kaputte Autos einfach am Straßenrand stehen lassen – und die Wracks übersteigen bei weitem die Zahl der verkehrstüchtigen Autos. So sieht es im Weltall aus. Und das bringt Gefahren mit sich. Denn die etwa 500.000 kleinen Müllteilchen dort oben können solche kleinere Satelliten zerschlagen und jedes Mal zigtausende neuer Müllteile produzieren. Dann tritt der „Kessler-Effekt“ ein, bei dem die Zahl der kleinen Objekte durch zufällige Kollisionen kaskadierend zunimmt.
FOCUS Online: Sie wollen den Weltraumschrott im All aufräumen?
Walter: Wir entwickeln einen Mini-Satellit mit Roboterarm, der an solche tote Satelliten andocken könnte, um sie in die Erdatmosphäre zu ziehen, wo sie dann verglühen und so die Kessler-Lawine gestoppt wäre. In unseren Bodentests funktioniert das schon hervorragend.